Das Chorbuch 22 ist eines der sieben überdauernden Handschriften, die in der Werkstatt des Petrus Alamire, durch den sog. Schreiber B, in dem Jahrzehnt von 1498-1508 kopiert wurde.
Auf welche Art und Weise Kurfürst Friedrich der Weise das Chorbuch 22 erworben hat, ist nicht bekannt. Wir wissen, dass er die Benelux-Länder im Jahre 1494 bereiste und dabei die Gesänge der Hofkapelle in Mechelen sehr bewunderte. Danach diente er am Hof Kaiser Maximilians von 1494 bis 1498. 1498 und nochmals 1501 scheint es so, als ob Kaiser Maximilian die Möglichkeit einer Heirat zwischen Friedrich dem Weisen und der Erbherzogin Margarete von Österreich erwogen habe. Jeder dieser Kontakte hätte im Jahre 1500, als Friedrich sein eigenes Gotteshaus erbauen ließ, zu einer Übersendung dieses Chorbuches führen können. Da Isaac im Jahre 1497 in den Dienst Maximilians trat, und es scheint, als ob er später in diesem Jahr vorübergehend der Kirche Friedrichs in Torgau angehörte als auch der Umstand, dass er im Jahre 1499 in die Handschrift aufgenommen wurde - obgleich nicht offenkundig - stellen Tatsachen dar, die mit dem letztendlichen Zielort der Handschrift zusammenhängen. Letztendlich könnte die auffällig dekorierte Initialie auf filio 19 ein letztes Indiz für die Genese des Chorbuchs 22 sein: Zu sehen ist das Gesicht eines Mannes mit einer ungewöhnlichen Kopfbedeckung - Helm oder Krone. Er starrt den Betrachter aus der oberen Hälfte des ausgearbeiteten Buchstaben 'C' an. Der Buchstabe selbst wird durch eine große Prinzen- oder Herzogskrone überragt, während in seiner unteren Hälfte eine rote Rose abgebildet erscheint. Unterhalb dieser Illumination ist der ausgearbeitete Buchstabe 'B' in Erscheinung tretend, der eine Margerite in seiner Mitte birgt. Auf dem gegenüberliegenden Blatt zeigt sich ein Wappenschild in der Mitte der Initialie 'T', aber die Wappen wurden nicht eingesetzt. Im Mai 1500 verfolgte Philips der Gerechte ernsthaftig die Möglichkeit einer Heirat zwischen Margarete von Österreich und Prinz Arthur von England. 1506 übernahm er dann das Projekt, dass Margarete König Henry VII. von England heiraten würde. Keine der beiden Bemühungen war jedoch erfolgreich. Könnten demnach die Krone, die Rose (das Tudor Emblem) sowie die Margerite (Margarete) und das leere Wappen darauf verweisen, dass es sich, ebenso wie im Chorbuch 4 und 9, um eine andere Handschrift handelt, die ursprünglich dafür bestimmt war, eine potentielle oder gar tatsächliche Habsburg-Tudor-Verquickung widerzuspiegeln, die jedoch in den Händen Friedrichs des Weisen endete?