Einen besonderen Schatz der ThULB stellt eine Gruppe reich illuminierter flämischer Chorbücher in
Großfolio dar. Im Zusammenhang mit den Hofkapellen, welche die Habsburger unter Kaiser Maximilians Sohn Philipp dem Schönen, seiner
Tochter Margarethe von Österreich, seinem Enkel Karl, dem späteren Kaiser Karl V., und seiner Enkelin Maria von Ungarn in Brüssel
und Mecheln unterhielten, entstanden zwischen 1395 und 1535 zahlreiche prachtvolle Handschriften mit geistlichen und weltlichen
Kompositionen zeitgenössischer niederländischer und französischer Meister, die vorwiegend in der Werkstatt von Pierre Alamire
(Petrus Imhoff aus Nürnberg, gest. 1536) in Mecheln geschrieben, wahrscheinlich in Gent und Brügge illuminiert und an die
bedeutendsten europäischen Höfe versandt wurden. Von den insgesamt 45 dieser flämischen Chorbücher, die sich in Bibliotheken
erhalten haben, befindet sich die größte geschlossene Sammlung in Jena; ähnliche, jedoch nicht so umfangreiche Bestände werden in
Wien, Brüssel, Rom und München aufbewahrt.
Die Jenaer Chorbuchsammlung ist der Musik- und Kunstliebe Friedrichs des Weisen zu verdanken. Nach dem Vorbild Kaiser Maximilians und
seiner Tochter Margarethe, die in ihren Hofkapellen die zeitgenössische Musik pflegten, unterhielt er eine Kapelle von Sängern und
Instrumentalisten in Torgau; daneben war auch die Stiftskirche Allerheiligen in Wittenberg mit einem Chor ausgestattet. An welchem
der beiden Orte die Chorbücher in Gebrauch waren, die Kompositionen des Ordinarium Missae - der über das Jahr gleichbleibenden Teile
der Messe - umfassen, darüber gehen die Meinungen auseinander. Mehrere von ihnen enthalten Anspielungen auf Friedrich den Weisen. Ob
er sie in Auftrag gegeben hat oder als fürstliche Geschenke erhalten hat, wissen wir nicht. Ein Chorbuch, das ebenfalls für ihn
bestimmt war, verblieb nach seinem Tode in Margarethes Besitz. Drei der Chorbücher weisen vielfältige Beziehungen zum Hause Habsburg
auf. Sie gelangten offenbar im Jahre 1518 als Geschenke Kaiser Maximilians, der sich damals für die Wahl seines Enkels Karl zum
deutschen König auch um die Stimme des sächsischen Kurfürsten angelegentlich bemühte, nach Wittenberg.